
6.30.2025
Lauftraining: Wissenschaftliche Grundlagen zur 80/20-Methode
Hast du schon gehört, dass dich langsames Laufen schneller macht? Was zunächst paradox klingt, hat sich in der Praxis bewährt und ist sogar wissenschaftlich erwiesen. Grundlage ist die 80/20-Methode. Und wenn selbst Elite-Läufer wie der ehemalige Marathon-Weltrekordhalter Eliud Kipchoge 80 Prozent ihrer Trainingszeit in einem Tempo absolvieren, bei dem sie sich noch bequem unterhalten können, dürfte an dieser Methode etwas dran sein.
Zwar können wohl nur die wenigsten von uns bei Kipchoges „langsamen“ Läufen mithalten, doch der Ansatz, durch weniger Tempo schneller zu werden, ist durchaus interessant. In diesem Artikel beschäftigen wir uns mit der 80/20-Methode, ihren wissenschaftlichen Grundlagen und der Frage, wie du dieses Prinzip in deinen eigenen Trainingsplan einbauen kannst.
Worum geht es bei der 80/20-Methode?
Ganz einfach: Dein Lauftraining besteht zu 80 Prozent aus Einheiten in ruhigem Tempo, bei dem du dich noch gut unterhalten kannst. Die übrigen 20 Prozent absolvierst du dann mit moderater bis hoher Intensität. Durch die lockeren Läufe baust du deine aerobe Basis aus, förderst die Sauerstoffversorgung deiner Muskeln und sparst Energie für die harten Einheiten, bei denen du Tempo und Kraft trainierst.
Viele Läufer*innen trainieren die meiste Zeit instinktiv mit einer moderaten bis hohen Pace. Das führt jedoch zu einer erhöhten Erschöpfung, sodass sie bei den richtig knackigen Einheiten zu müde sind. Die Folge: Die aerobe Kapazität wird nicht gesteigert und die Leistungsfähigkeit stagniert.
Niedrige vs. hohe Intensität
Wenn wir von Läufen mit niedriger Intensität sprechen, meinen wir auch genau das. Denn viele Läufer*innen neigen dazu, ihre lockeren Einheiten mit einer höheren Pace oder Herzfrequenz als nötig zu absolvieren.
Als Faustregel gilt: Solange du dich beim Laufen mühelos und in ganzen Sätzen unterhalten kannst, ist dein Tempo angemessen. Und doch ist es oftmals gar nicht so leicht, die Geschwindigkeit derart zu drosseln: Denn für viele liegt die optimale Pace pro Kilometer 35 Sekunden bis 1 Minute über dem, was sie selbst als leicht empfinden.

Zu den 80 Prozent Training bei niedriger Intensität kommen dann 20 Prozent intensiver Trainingsarbeit hinzu. Das können Intervallläufe, Tempoläufe, Hügeltraining oder Einheiten im Wettkampftempo sein. Diese Sessions sollen sich wie harte Arbeit anfühlen, du solltest danach aber nicht komplett im Eimer sein.
Ursprung der 80/20-Methode
Die Philosophie hinter der Methode ist sich schon seit langem im Lauftraining etabliert und wird manchmal auch als polarisiertes Training, MAF-Methode, Niedrigpulstraining oder Low-Intensity-Training bezeichnet. Am Ende kommt es aber nicht auf den Namen an, sondern auf das Konzept dahinter. Das besagt, dass wir die überwiegende Mehrheit unserer Läufe mit geringer Intensität absolvieren sollten.
Einer der Pioniere dieser Trainingsmethode ist Dr. Stephen Seiler, Sportphysiologe an der Universität von Agder in Norwegen, der sich in seinen Forschungsarbeiten Anfang der 2000er-Jahre intensiv mit dem Training von Ausdauerathlet*innen der Elitestufe beschäftigte. Dabei analysierte er Trainingsdaten von Weltklasse-Athlet*innen im Laufsport, Radsport, Rudern und Langlauf und stellte fest, dass all die Top-Leute aus unterschiedlichen Disziplinen und Ländern einen sehr ähnlichen Trainingsansatz verfolgten: Sie trainierten etwa 80 Prozent ihrer Zeit bei geringer und 20 Prozent bei hoher Intensität.
Diese Erkenntnis wurde später durch weitere Studien von Dr. Seiler und Kolleg*innen untermauert, die zu dem Ergebnis kamen, dass die Coaches von Spitzenathlet*innen in den Olympischen Ausdauersportarten ihre Schützlinge etwa 75–80 Prozent der gesamten Trainingsarbeit im niedrigen Bereich absolvieren ließen.
Seiler zog die Grenze zwischen niedriger und hoher Trainingsintensität an der so genannten Atemschwelle, die bei gut trainierten Läufer*innen bei etwa 77–79 Prozent der maximalen Herzfrequenz liegt und Ähnlichkeit mit der Laktatschwelle aufweist. An dieser wichtigen Schwelle schaltet der Körper vom aeroben auf den anaeroben Stoffwechsel um – hier verläuft die Trennlinie zwischen lockerem und intensivem Training.
Was ist mit Hobbyläufer*innen?
Die 80/20-Methode hat sich für Top-Athlet*innen wie Eliud Kipchoge oder Paula Radcliffe, die auf dem Höhepunkt ihrer von Rekorden geprägten Karrieren danach trainierten, also bewährt. Doch eignet sich der Ansatz auch für Freizeitsportler*innen?
Die Antwort darauf ist ein klares Ja. Im Rahmen einer Studie im Jahr 2013 wurden 30 Freizeitläufer*innen in zwei Gruppen unterteilt und zehn Wochen lang begleitet. Die erste Gruppe trainierte nach der 80/20-Methode, während die zweite Gruppe 50 Prozent lockere Läufe und 50 Prozent Läufe mit moderater/hoher Intensität absolvierte. Nach Ablauf der zehn Wochen ermittelte die Forschungsgruppe, inwieweit sich die 10-km-Zeiten der Probanden verbessert hatten. Zwar waren bei beiden Gruppen Verbesserungen festzustellen, doch diese fielen in der Gruppe der 80/20-Methode mit 5 Prozent höher aus als in der Vergleichsgruppe (3,6 Prozent).
Welche Vorteile bietet die 80/20-Methode?
Der Knackpunkt liegt darin, dass du durch langsames Laufen schneller wirst. Und das ist kein Witz! Wenn du die meisten deiner Läufe in einem lockeren Tempo absolvierst, wird sich das langfristig auf deine Pace auswirken, wie die Studie aus dem Jahr 2013 gezeigt hat. Dabei spielt es keine Rolle, auf welchem Leistungsniveau du dich befindest.
Aber: Wenn du nur langsame Läufe machst und keine schnelleren Einheiten einbaust, wirst du deine Zeiten kaum verbessern können. Deshalb ist die Aufteilung in lockere und intensive Einheiten so wichtig. Der wahre Vorteil der 80/20-Methode liegt allerdings darin, dass sich die Qualität deiner harten Sessions verbessert. Wenn du die meisten Läufe im lockeren Tempo machst, bist du bei deinen intensiveren Einheiten erholter und weniger erschöpft. Dadurch kommst du deiner Ziel-Pace schneller näher und kannst vor der nächsten harten Einheit wieder besser regenerieren. Wenn du jeden Tag an deine Grenze gehst, ist die Wahrscheinlichkeit indes sehr hoch, dass du zu kaputt für eine richtig knackige Einheit bist.
Mit der 80/20-Methode kannst du nicht nur deine Laufzeiten verbessern. Auch das Verletzungsrisiko wird gesenkt. Langsame Läufe beanspruchen deine Knochen, Gelenke und Weichteile weniger stark, sodass sich dein Körper am Ende besser erholen und regenerieren kann. Gestaltest du deine meisten Läufe hingegen intensiver, wird dein Körper wiederholt einer – wenn auch moderaten – Belastung ausgesetzt, wodurch die Gefahr von Übertraining und Verletzungen steigt. Daher ist es besser, die meisten Läufe sehr locker anzugehen und nur gezielt hochintensive Einheiten in den Trainingsplan zu integrieren.
Einbindung der 80/20-Methode in den eigenen Trainingsplan
Wenn du mit einem guten Trainingsplan oder einem Coach arbeitest, stehen die Chancen nicht schlecht, dass du bereits nach der 80/20-Methode trainierst. Schließlich hat sie sich bei Elite-Athlet*innen in aller Welt bewährt.
Ansonsten kannst du dein Training leicht an die Methode anpassen. Im ersten Schritt musst du ermitteln, was ein richtig lockerer Lauf für dich persönlich ist – dieser sollte sich nämlich fast beschämend langsam anfühlen. Du solltest dich dabei problemlos in ganzen Sätzen unterhalten können. Wenn du schwer atmest oder nur einige Worte herausbekommst, bist du zu schnell unterwegs. Gut möglich, dass du dich erst an das langsame Tempo gewöhnen musst, aber bleib dran! Beachte außerdem, dass „leicht und locker“ für jeden von uns etwas anderes bedeutet. Verzichte also darauf, die Pace deiner lockeren Läufe mit anderen auf Strava zu vergleichen.
Im zweiten Schritt musst du dein Training so strukturieren, dass es der 80/20-Regel folgt. Das Tolle an der Methode ist, dass du sie skalieren kannst. Das heißt: Egal, ob du drei- oder siebenmal pro Woche die Laufschuhe schnürst, das Prinzip bleibt das Gleiche.
Wenn du drei bis vier Mal pro Woche trainierst, machst du am besten zwei bis drei lockere Läufe und eine harte Einheit. Das könnte zum Beispiel so aussehen:
Montag: lockerer Lauf
Dienstag: Tempolauf
Mittwoch: Ruhetag
Donnerstag: lockerer Lauf
Freitag: Ruhetag oder Crosstraining
Samstag: lockerer Lauf
Sonntag: Ruhetag oder Crosstraining
Bei fünf bis sechs Einheiten pro Woche sind vier bis fünf lockere Läufe und ein bis zwei intensive Einheiten empfehlenswert. Wichtig dabei ist, dass du deine harten Sessions nicht an direkt aufeinanderfolgenden Tagen absolvierst. Das Ganze könnte zum Beispiel so aussehen:
Montag: lockerer Lauf
Dienstag: Intervalltraining
Mittwoch: lockerer Lauf
Donnerstag: Tempolauf
Freitag: Ruhetag
Samstag: langer, lockerer Lauf
Sonntag: lockerer Erholungslauf
Deine intensiven Einheiten – Intervalltraining, Tempoläufe, Hügeltraining, Fahrtspiele oder Einheiten im Renntempo – können Woche für Woche variieren. Bedenke, dass externe Faktoren wie Außentemperatur, Steigungen oder Erschöpfung deine Pace beeinflussen können. Konzentriere dich daher besser auf den RPE-Wert (RPE steht für „Rate of Perceived Exertion“, also deine empfundene Anstrengung). Mit dem RPE-Wert kannst du die Intensität deiner Trainings nach deinem subjektiven Empfinden erfassen.
Für die Umsetzung der 80/20-Methode brauchst du vielleicht ein bisschen Geduld. Die Wissenschaft ist sich jedoch einig, dass die Methode nicht nur für die weltbesten Ausdauerathlet*innen, sondern auch für Hobbyläufer*innen funktioniert. Vertraue dem Prozess, genieße die lockeren Läufe und freue dich, wie sich deine Leistung im Laufe der Zeit verbessert.
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